Kurzgeschichte: Bombenkrieg

Eine der ersten Kurzgeschichten, die jemals von mir geschrieben wurden.

Aus der Ruhe in den Lärm. Das ist eine kurze Beschreibung für den kleinen Schritt aus der Haustür hinaus auf sie Straße. Natürlich eine Hauptstraße, eine stark befahrene Hauptstraße. Ein kleiner Schritt für einen einfachen Menschen. Und doch ist es ein Schritt aus einer Welt in eine andere. Aber als ein Mensch, der in einer Großstadt erzeugt, gezeugt und bezeugt wurde sowie in einer eben solchen aufgewachsen ist, eher verwachsen, ist das schon eine Sache der Gewohnheit. Viel Lärm um nichts und alles nur, weil die Menschen in ihrer Bequemlichkeit ihr Auto nicht stehen lassen können.

Ok, bequem bin ich auch. Es könnte durchaus auch als faul bezeichnet werden, wären da nicht ein paar Prinzipien, die ich mir als Großstädter zu eigen gemacht habe. Niemals ein Auto. Wozu auch, bietet jede Großstadt mir ein hervorragendes Netz öffentlicher Verkehrsmittel. Das dieses Prinzip mir einmal das Leben retten sollte, hätte ich zu dem Zeitpunkt nie geahnt.

Und so führt mich mein Weg zur nächst gelegenen Ubahn-Station, um mich zu meiner heutigen gesellschaftlichen Verpflichtung zu bringen. Besuch bei Freunden ist angesagt, so wie wahrscheinlich bei vielen anderen auch. Doch für mich ist es eben eine Verpflichtung und das wissen meine Freunde auch. Und während ich in meinen allgemeinen wirren Gedanken versunken durch den Abend stolpere, werde ich das beklemmende Gefühl nicht los, mich noch einmal umdrehen zu müssen, noch einen letzten Blick auf mein Zuhause der letzten Jahre zu werfen. Warum auch immer, ich weiß es nicht. Gut, es lenkt mich ab von meinen Gedanken, von der Grübelei über das Liebesleben der Pflastersteine, aber dennoch. Irritiert setze ich meinen Weg fort, hin zu dem Tempel der Virenverbreitung, auch allgemein als Bahnhof bezeichnet.

Auf der Straße begegnet mir nur der alltägliche Wahnsinn. Das übliche Gewusel von Individuen, die in alle Richtungen streben. Wie in einem Ameisenhaufen streben alle Menschen ihren verschiedenen Zielen zu, auch ich setze meinen Weg fort. Ein paar Gedankensprünge später erreiche ich dann schließlich auch mein erstes zwischen-Ziel, die Ubahn-Station, die ich ständig nutze, ständig nutzen muss. Nichts ist anders als sonst, abgesehen davon, dass 2 Polizisten hektisch miteinander diskutieren. Doch was soll mich das kümmern, ist daran doch nichts außergewöhnliches. Nichts von Bedeutung. Vorerst.

Gleich einem langen Wurm schiebt sich die Ubahn langsam aus dem Tunnel. Die Assoziation gefällt mir. Wie ein Regenwurm, der sich durch die Erde gräbt und an einem Knotenpunkt ankommt. Die Bremsen quietschen leicht, die Türen öffnen sich und heraus strömt eine Horde Menschen. Doch diesmal ist wirklich etwas anders. Sie sehen verängstigt aus, einige diskutieren miteinander, andere hetzen auf das andere Gleis. Doch mich kümmert das nicht, der normale menschliche Wahnsinn prallt an mir ab. Was hab ich mit den anderen zu schaffen? Nichts, also tangiert mich auch nicht das heutige, allerdings etwas außergewöhnliche Gewusel.
So stolpere ich wie jeden Tag in die Bahn und freue mich darüber, endlich mal einen Sitzplatz, so ein Mini-Abteil endlich nur für mich allein zu haben. Meine langen Beine und Füsse auszustrecken, welch eine Wonne. Ein wenig Bequemlichkeit vor dem zu erwartenden stressigen Arbeitstag. Von fern meine ich eine Sirene zu vernehmen, doch dank der Kopfhörer und der darin laufenden Musik ist es nur eine vage Erscheinung, die in meinen Gedanken schnell wieder verblasst.

Und so schiebt sich der Ubahn-Wurm langsam in den nächsten Tunnel, diesmal mit mir in seinen Eingeweiden. Wie immer lese ich meine Bücher, zumindest eines davon und höre meine Musik, abgeschnitten von den sonst übermäßig auf mich einprasselnden Sinneseindrücken. Meine eigene kleine Welt, in der ich versinken kann, fernab der Realität, die ich als grausam erachte. Nur ein kurzer Blick auf den Monitor in der bahn reicht aus, um zu wissen, wie weit ich noch fahren muss. Es ist noch Zeit, ich kann wieder in meiner Welt versinken. Die Ansage aus den Lautsprechern nehme ich wie immer nicht wahr, meist geht es eh.nur kleine Störfälle. Wenn sich jemand hinter die Bahn wirft in einem kurzen und unüberlegten Akt der Verzweiflung. Menschen, die mit ihrem Leben nicht.im reinen sind. Dabei ist es doch so einfach, das Beste aus den Gegebenheiten zu machen, sich mit dem Unvermeidlichen zu arrangieren. Aber das tangiert mich nur am Rande. Mein ist die Welt der Wörter, in der ich versunken bin. Mein ist die Welt der Musik, die.mich ein Stück weit von der Aussenwelt abschottet. In der ich in Gedanken versunken verschwinden kann.

Urplötzlich werde ich aus meiner Welt gerissen. Dumpfe Explosionen erschüttern die Bahn, es dröhnt und erzittert. Ich blicke auf und wundere mich während die wenigen noch verbliebenen Mitreisenden voller Angst kreischen. Und in all dem ohrenbetäubenden Lärm geht das Licht aus und die Bahn hält an. Das Chaos ist perfekt. Die Geschrei der anderen Menschen in der Bahn wird lauter. Verwundert blicke ich mein Handy an, das eben noch meine Welt mit Musik und Wörtern versorgt hat – doch es ist ebenso tot wie auch die Bahn. Die Dunkelheit, die ich sonst suche, versetzt mich in Angst. Keine übermäßig panische Angst, nein, die gesunde Angst, die auftritt in Verbindung mit dem Überlebenswillen.

Kurz analysiere ich die Situation. Explosionen, kein Strom. Explosionen, die immer noch noch andauern, auch wenn sie nur ganz schwach bis zu mir durchdringen. Kein Terrorakt, dass sind Bomben, durchfährt mich der Gedanke mit Schrecken. Doch, wo kann man sicherer sein, wenn Bomben fallen als in einem Ubahn-Tunnel. Sofern die Decke hält. Doch zuerst muss ich aus der Bahn raus. Gelassen sage ich zu den anderen Mitreisenden „Keine Panik, wir sind hier erst einmal sicher. Wir müssen aus der Bahn raus und zumindest in die Nähe einer Haltestelle laufen.“ Kurzerhand das Feuerzeug zücken und für wenige Sekunden brennen lassen, das ist eine Übung, die ich als Raucher wohl im Griff habe. Zumindest weiß ich nun, wo sich der Nothammer für die Scheiben befindet. Im Dunklen taste ich mich heran und nehme diesen mit einem kräftigen Ruck an mich. Eine zweite kurze Benutzung des Feuerzeuges zeigt mir, wo sich das Notfallpack und die Scheibe für den Notausstieg befinden. Das Pack drücke ich einem Mitreisenden in die Hand. Nun beginnt der Spaß. Meine ganze Wut und Frust entladen sich in der Zerstörung der Scheibe. Wie gut, dass es stockdunkel ist, so sehen die anderen nicht, wie ich an den Scheiben rumtobe. Klirrend zerbrechen die Scheiben unter den wuchtigen Schlägen.

Der andere neben mir fasst mich an den Arm und hält mich zurück. „Ist gut langsam“, sagt er. „Du hast nun fast jede Scheibe des Waggons zerdeppert, geht’s jetzt besser?“. Wo ich vorhin noch das Musterbeispiel der Ruhe war, bringt er mich wieder auf den Boden zurück. Langsam erinnere ich mich, er ist nicht das Bild von Mann, das eine Frau sehen möchte und ist nicht das bild von Mann, das Mann als Konkurrenz betrachtet. Unscheinbar, wie ich meist. Nur dass meine Unscheinbarkeit schon wieder auffällig ist. Aber gut. Ich nicke und lasse den Nothammer fallen. Langsam, ruhig und geordnet machen wir uns aus dem Wagon, klettern über die Sitze und vorsichtig über die Glassplitter des Rahmens nach draußen. Vorsichtig, um nicht über den Stromabnehmer zu fallen. Doch da kommt es mir wieder in den Sinn, wenn die Bahn keinen Strom hat, dann dieses wichtige Utensil für die Ubahnen ebenfalls nicht. Vorsichtig berühre ich die Leitung mit den Fingerspitzen, doch nichts passiert. Kein Strom, nirgends. EMP-Impuls, höchstwahrscheinlich. Man kennt es ja aus so vielen Filmen. Doch woher und warum? Und vor allem, wie lange noch? Wenn der Strom wieder kommt, dann sitzen wir im Tunnel in der Falle, wenn die Bahnen wieder fahren sollten.

Langsam tasten wir uns vorwärts. Im Gänsemarsch an der Bahn vorbei bis zur Spitze des Zuges. Über Leitungen hinweg, immer an der Wand lang. Plötzlich fasse ich ins Leere. Da ist nichts. „Halt“ rufe ich und lasse das Feuerzeug wieder kurz aufflammen. Ein Notausgang, den muss ich mir merken. Die anderen darauf aufmerksam zu machen, das versteht sich von selbst. Jede erdenkliche Hilfe untereinander ist jetzt wichtig. Auch wenn ich sonst der Eigenbrötler bin, doch im Moment, in der Ungewissheit, was passiert sein mag, ist es nicht von Vorteil. Vorerst sind wir auf einander angewiesen. Ich hoffe nur, dass die anderen es ebenfalls wissen, sie darauf aufmerksam zu machen halte ich aber für unnötig. Und so stapfen und stolpern wir weiter durch die Finsternis des Ubahn-Tunnels. Jeder in seinen Gedanken versunken, wir sprechen nicht. Noch einmal lasse ich das Feuerzeug aufflammen und sehe das Ende der Bahn, nein, eher den Anfang, die Spitze des Zuges. Kurz halte ich das Feuerzeug an die Frontschreibe und schrecke zusammen. Der Fahrer liegt mit dem Kopf auf den Armaturen, leichte Rauchschwaden steigen noch von diesen auf. „Der ist erledigt“, murmele ich leise. Und doch haben es alle mitbekommen, leiser Protest regt sich, von wegen, ich wäre unsensibel und kaltherzig. Dann ist es eben so, doch ich kann an den Umständen nichts ändern.

Und so laufen wir langsam weiter, die Gleise sind leicht ansteigend, es wird schwieriger. Sehen können wir es nicht, doch ich fühle es genau. Wo man vorher mit der Bahn in kurzer Zeit von einer Haltestelle zur nächsten gefahren ist, kommt der Fußmarsch in der Dunkelheit einem so unendlich lang vor. Und gerade auf einem Gleisbett zu laufen ist nicht gerade einfach, ständig wird über irgendwelche Unebenheiten gestolpert. Natürlich vollends in Gedanken versunken. Gedankliches Thema mit Priorität >extrem hoch< ist natürlich das Wie und Warum der derzeitigen Situation. Was kann passiert sein, was ist passiert und was wird noch passieren? Wie geht es weiter? Doch eines ist ganz sicher: es wird nichts mehr so sein wie es einmal war. Gut, dass die Anderen kaum reden. Eine Konversation über das Dilemma hat mir gerade noch gefehlt. Misanthropisch angehaucht, wie ich bin. Schließlich haben sie die Ehre, mich begleiten zu dürfen. Gut, ganz uneigennützig bin ich dabei nicht. Es wird sicherlich Momente geben, bei denen ich auf deren Hilfe angewiesen bin. Ist es Egoismus? Nein, nicht wirklich. Viel mehr ein Patt, der Status Quo. Ich bin im Moment genauso auf sie angewiesen wie sie auf mich. Und ohne es zur Aussprache zu bringen, denken wohl alle das gleiche. Niemand kommt auf den Gedanken, sich abzusetzen oder einen anderen Weg zu gehen. Gut, die Auswahl der Möglichkeiten ist schon begrenzt – aber sie hätten ja auch warten können, bis Hilfe kommt. Doch daran scheint niemand so richtig zu glauben. Die Crux der Menschen, eine gewisse Disziplin tritt erst dann auf, wenn der Misthaufen nicht nur am Dampfen, sondern am brennen ist.

Hinter der nächste Biegung weicht die gnadenlose Dunkelheit einem schummrigen Dämmerlicht, leicht flackernd. Es gibt ein Ziel! Denn wo Licht in den unterirdischen Gleisanlagen zu sehen ist, auch wenn kein Strom vorhanden ist, da ist der Ausgang nicht weit. So tasten wir uns weiter vorwärts, die Augen nun auf die Gleise gerichtet, bis wir die ersten Trümmer erreichen. Von den Bahnsteiganlagen ist nicht mehr viel übrigen geblieben, wie man nur schwer in den Rauchschwaden erkennen kann. Es ist heller, doch noch immer herrscht nur ein diffuses Zwielicht.

Wir klettern mühselig über Betonbrocken, Bewehrungsstahl und andere Trümmer hinweg, es ist weiterhin kein menschlicher Laut zu hören. Nein, es ist still, totenstill, nur von einem gelegentlichen Knistern unterbrochen. Die Gedanken schiebe ich erst einmal zur Seite. Es gilt nun, mich zu konzentrieren auf das, was vor mir liegt und damit sind nicht nur die Trümmer gemeint. Nun ist auch die erste Leiche zu sehen, halb begraben unter Trümmern. Der zertrümmerte Schädel und das frei liegende Hirn sprechen für sich. Da kann ich mir jedwede Hilfe sparen, ja nicht einmal nachsehen muss ich, ob er eigentlich tot ist. Auch Mitgefühl ist in dem Moment fehl am platz, auch wenn es kaltherzig sein mag. Schließlich geht es erst einmal um mein Leben und das der Anderen, die hinter mehr beim Anblick des Toten laut aufstöhnen. Auch ein Würgen und schluchzen ist zu hören, doch das ignoriere ich, wichtiger ist, den Ausgang zu finden. Was gar nicht so einfach ist, wenn die Haltestelle unter Trümmern begraben liegt. Und jeden Moment könnte irgend etwas zusammenbrechen, seinen noch dürftigen Halt verlieren. Nein, den Ausgang zu finden hat erst einmal oberste Priorität.

Ich orientiere mich an dem Lichtschein, der leicht schräg vor mir zu sehen ist. Schließlich erspähe ich den Rest einer Treppe. Wir klettern diese gemeinsam hoch, helfen uns gegenseitig über die Löcher hinweg. Wo früher einmal die Eingangshalle der Station stand, klafft nun ein kleiner Krater. Was zum Henker, denke ich, wie haben die, wer auch immer es war, es geschafft, in so kurzer Zeit soviel zu zerbomben? Für Dresden haben die Alliierten damals 3 Anflüge gebraucht. Und nun? Nicht einmal …

Mich trifft der Schock. Vor der Station präsentiert sich mir eine lebensfeindliche Trümmerlandschaft. Egal, wie viele Menschen hier vorher waren, wie modern und kränkelnd sich die Bauten der Großstadt präsentierten – hier ist nichts mehr. Kein Lebenszeichen, kein Gebäude, nichts, an dem man sich orientieren könnte. Ich stehe vor den Trümmern der Stadt und vor den Trümmern meines Lebens …

(reblog)

 

 
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