Locus amoenus

Tatsächlich kennt man das Wort Locus ja für eine andere Örtlichkeit, als die von den Verwendern lateinischer Phrasen und Erdenkern derselben zugedachte Rolle. Locus amoenus ist die lateinische Umschreibung für einen lieblichen und angenehmen Ort. Und doch, wenn man das Wort Locus hört oder liest, denkt man mehr an die Resteverwertung via Entsorgung der menschlichen Verdauung. Wenn wir schwarzen Seelen an einen Locus amoenus denken, dann ist es eher der Ort, an dem die Reste des menschlichen Körpers normalerweise entsorgt werden – der Friedhof.

Gruselig?

Gruselig?

Es gibt wohl keinen entspannenden Ort in einer Großstadt als den örtlichen Friedhof, den die meisten Menschen meiden, weil sie diesen Ort mit der Beendigung des Lebens assoziieren. Mag ja teilweise stimmen, körperlich gedacht. Doch wer mit dem Leben nur sein eigenes sieht, kann nicht, kann niemals über seinen persönlichen Horizont hinausblicken und das „Große, Ganze“ sehen. Wir sehen es, in dem wir die Vergänglichkeit des Lebens als Wegbereiter für neues Leben sehen, als Platz schaffen für das Kommende.

Wieso Friedhöfe aber unbedingt mit dem Gruselfaktor belegt werden, kann ich persönlich nicht nachvollziehen. Die Toten sind tot und bleiben es auch. Entgegen der Literatur, Film und Fernsehen gibt es im realen Leben keine Zombies, zumindest nicht in der Form, wie sie meist dargestellt werden. Da reichen schon die hirnlosen Massen, die nicht einmal wissen, wie ein Friedhof auf dem Gelände selbst aussieht. Wenn man sich vor etwas gruseln kann, dann davor …

Friedhöfe sind die Orte, an denen man Ruhe vor den Lebenden haben kann. Orte, an denen die Natur zumindest ein wenig sich vor den Menschen erholen kann und ein Stück von dem zurückholen, was sie gegeben hat. Orte, an den man die Natur genießen kann – weil es woanders kaum noch welche gibt. Orte zum Lebewohl sagen? Zum Guten Tag sagen – Orte zum ausruhen.

Im Endeffekt ist der Friedhof doch nur ein gesellschaftlicher Ort für den Totenkult mit religiöser Prägung. Ein Totenkult, der gar gesetzlich geregelt ist. Doch wo ein Kult gesetzlicher Regelung bedarf, da hört der Kult auf. In der Vergangenheit wurde es gewissen Menschen untersagt, auf Friedhöfen begraben zu werden. In jüngere Vergangenheit wurde es den Menschen untersagt, nicht auf Friedhöfen begraben zu werden, egal, in welcher Form der Tod vonstatten ging. Mittlerweile ist die Form der Bestattung wieder teilweise frei wählbar – was durchaus zu begrüßen ist für den ordentlichen Totenkult. Immer noch in Bahnen gesetzlicher Regelungen, doch mit mehr Möglichkeiten der individuellen Freiheit.

Friedhöfe sind unsterblich, solange der Menschen den Toten ihre Ruhe gönnt. Doch brauchen die Toten Ruhe? Braucht der von aller Energie verlassene Leib wirklich einen Ort, an dem er natürlich vergammeln kann, an dem die Asche besucht werden kann von den Verbliebenen? Müssen wir uns wirklich an einen bestimmten Ort begeben um uns derer zu erinnern, die vor uns gegangen sind, die der Gevatter geholt hat um eine gewisse Art der Unsterblichkeit zu erlangen? Sind Friedhöfe nicht eher die Lagerstätten menschlicher organischer Abfälle? Ja und Nein. Natürlich entspricht es der Tatsache, dass die Seelen der Toten keinen Ort brauchen, um immer wieder an den Tot gebunden zu werden und die Seelen derjenigen, die trauern anstatt zum Abgang zu beglückwünschen, das Leid des Lebens hinter sich gelassen zu haben, um mit den Toten zu reden. Der Friedhof ist im Grunde ein Ort, der an die eigene Vergänglichkeit erinnern soll. Eine Ort der Ruhe, um den Alltag den Alltag sein zu lassen. Erinnerung ist wichtig, das macht uns zum Menschen. Aber Furcht vor dem Tod bringt uns auch nicht weiter. Eher sollte der Tod mit Ehrfurcht betrachtet werden. Wie auch der Ort, an dem der Tod allgegenwärtig ist. Also jeder Ort, an dem wir uns aufhalten.

 
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