Reisetagebuch – Teil 2

Mehr erleben oder Meer erleben? Das ist die Frage, die keine richtige Antwort kennt. Mit reichlich Gammelfleisch unterwegs und auch ein paar anderen, macht man sich zwischendurch so seine Gedanken. Es fällt so einiges auf, weniges an und etliches aus.

Tag 2 – Mehr Meer, na gut, nur ein bissel Nordsee

Sonnenaufgang auf die epische Art, ach was, legendär! Leider nicht bildlich gut genug wiederzugeben ...

Sonnenaufgang auf die epische Art, ach was, legendär! Leider nicht bildlich gut genug wiederzugeben …

Frische Luft. So richtig frische Luft, schön salzig und nach Mehr und Meer schmeckend. Der erste Gang an deck führt in die Raucherzone, zu frühen und unchristlichen Zeiten menschenleer. Keiner der mir auf den Sack geht. Die Crew ist auch noch in den Eingeweiden des Schiffes versteckt. Nur ich, das leise brummen und vibrieren der zig Tonnen Stahl um mich herum. Ein epischer, quatsch, nein – legendärer Sonnenaufgang, dass es einem trotz der leichten Brise wohlig warm ums Herz wird. Das macht Appetit auf ein deftiges englisches Frühstück. Doppelt. Dreifach. Der Appetit steigt in Äquivalenz zur zurückgelegten Strecke. Und auch der Kaffee, am Vortag noch als gefärbtes Wasser ungenießbar hat morgens an Kraft zugelegt. Was das Meer so alles kann. Die übrigen Familienmitglieder sich selbst zu überlassen, das versteht sich von selbst. Und alleine kann man ohnehin mehr entdecken,  auf einem Schiff, dass schon komplett entdeckt wurde.

Die Affen im Käfig.

Ein bordeigener Zoo. Ich bin begeistert. Deck 12, vornen am Bug. Durch eine Glasscheibe zu sehen, die Gattung homo sapiens seemannius. Drei stattliche Exemplare in ihrer natürlichen Umgebung, umgeben von Technik,  Technik und, wie könnte es anders sein: Technik. Und die anschließende erschreckende Erkenntnis: die zig Tonnen Stahl bewegen sich ganz allein! Die drei Exemplare im Käfig hinter der Glasscheibe stehen gelangweilt am Gatter und schauen sehnsüchtig auf das Meer, sie wollen wohl freigelassen werden. Gelegentlich geht ein Exemplar zur Tränke, um dann wieder die ursprüngliche Position einzunehmen. Der Autopilot, ebenfalls in diesem Gehege eingesperrt,  ein Exemplar der Gattung Technikus automatikus, steuert die zig tausend Tonnen Stahl dafür mit stoischer Gelassenheit. Ein grandioses Erlebnis, dieser Zoobesuch an Bord.

Termine, Termine, Termine

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300 Meter Gang – wehe, du hast was vergessen am anderen Ende des Schiffs …

Minutiös wird der Tagesablauf der Passagiere durchgeplant und den behördlichen Auflagen genüge getan. Rettungsübung. Passkontrolle. Tagesprogramm. Fitnessprogramm. Showprogramm. Und Theater. Nein danke! Ausser zu den Pflichtveranstaltungen gehe ich grundsätzlich meine eigenen Wege. Zur Raucherzone. Um das Schiff. Zur Raucherzone. Zum Kaffee. Um das Schiff. Zur Raucherzone. Sehr abwechslungsreich ist der Tag an Bord, wenn man tun und lassen kann, was man will. Völlig losgelöst und frei und doch eingepfercht. Der schönste Platz ist sowieso draussen, im Wind mit Frischluft und Nikotin. Zur Beobachtung der Spezies Homo sporticus, die wie ein Tiger im Käfig die Runden im Dauerlauf um den Rundgang auf Deck sieben absolviert. Die sind aber auch überall. Selbst auf dem Meer, wo man eigentlich die Ruhe geniessen sollte, das leise plätschern der Wellen und monote Summen der Motoren. Und ringsherum – nur Meer. Es wird Zeit, für den nächsten Rundgang,  vielleicht hält es mich diesmal etwas länger am Bug. Da wo das Friedhofsgemüse es nicht aushält. Hoffentlich.

Apropos Friedhofsgemüse. Das Talent der weiblichen Vertreter dieser gar nicht so seltenen Spezies, überall und grundsätzlich im Weg zu stehen, ist hier an Bord proportional zur gefühlten Wichtigkeit gegenüber den Passagieren der zweiten Klasse oder minder gestiegen. Nicht mehr ausschließlich in kleinen Gruppen, nein, in ganzen Horden stehen sie direkt vor den Ausgängen, wie ein Türsteher der Art: Du kommst hier nisch rein. Du Niemand hast hier nichts zu suchen. Wie gern wäre der gefüllte Teller inmitten dieser Gruppe gelandet, rotierend und den Inhalt verteilend. Ich konnte ihn noch gerade zurück halten. Ich Held ich.

Zur Futtersuche

Tischlein deck dich. Nicht bricklebrit, Tischlein deck dich. Der Tagesablauf eines normalen Reisenden. Man gehe morgens zu Tisch. Das Breakfast möge zelebriert werden. Danach wird die obligatorische Runde durchs Schiff gedreht, um danach zu einer kleinen Pause entweder im Restaurant oder in einer Bar einzukehren. Danach einen kurzen Verdauungsspaziergang durch die Shops, um sich hernach in der Kabine fertig zu machen, für die Mittagsmahlzeit, die in der Kaffeebar komplettiert wird. Nach einem Verdauungsspaziergang durch das Schiff sucht man die nächstgelegene Futterstelle auf für eine, wohlgemerkt kurze, Kaffeepause mit ein paar süßen Teilchen. Doch bloß nicht zuviel, der Queens Salon, auch kurz Futtertrog genannt, wird aufgesucht, um bei einem Tässchen englischen Tee noch ein paar Sandwiches einzuwerfen. Teatime! Und danach? Schnell in die Kabine, aufbretzeln ist angesagt für das abendliche Diner. Bei soviel Bewegung braucht der Mensch was zwischen die Kiemen. Ganz wichtig! Man will ja schließlich nicht nur wohlgenährt aus dem Urlaub kommen, sondern die Reederei ordentlich schädigen für den horrenden Preis der Passage. Mahlzeit, wohl bekomms.

Schon satt? Denkste! Das Bordrestaurant ist noch geöffnet, für einen kleinen nächtlichen Imbiss nach den ganzen alkoholischen Getränken an der Bar auch dringend nötig. Mögen die Falten wachsen und gedeihen. Die Speckfalten. Ein flacher Bauch kann entzücken, der dicke dagegen lässt ungebetene mögliche Verehrer entrücken. Mahlzeit, endlich satt?

Apropos Bordrestaurant:

Hygiene ist wohl eine Zier,
doch, eine Sache merke dir:
Absolute Reinheit als hehres Ziel,
ist doch des Gutes oft zu viel.

DSC_0309Standen an den Eingängen der Bordrestaurants tatsächlich Kellner, Verzeihung, Tellertaxen, und verteilten an die einströmenden Gäste Desinfektionsmittel. Und zwar in Strömen. Kein Witz! Wer diese Chemiebombe aus den Spendern ablehnte, wurde nicht nur mit schiefen Blicken bedacht, sondern auch gern mal zurück gerufen. Und das Nonplusultra war der Hinweis auf dem WC, dass nach erfolgreicher Reinigung nicht nur der Gedärme, sondern auch der benutzten Gliedmaßen und der bereit gestellten Desinfektion die Papiertücher auch zum öffnen der Türe genutzt werden sollten. Halleluja. Wie weit ist es um die Reinlichkeit der Menschen bestellt, wenn schon solch drastische Maßnahmen Anwendung finden? Der menschliche Körper ist ein Wunderwerk in Sachen Regeneration und Heilung und doch wird überempfindlich agiert und reagiert, wenn es um Bakterien geht. Doch was wir an Feinstaub uns jeden Tag in die Lunge saugen, da kräht kein Aas nach. Zweierlei Maß war schon immer der menschliche Maßstab.

Was wollte ich eigentlich vermelden? Achja, toll war’s. Wirklich.

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Was war noch mal in Teil 1?

 
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