Reisetagebuch – Teil 3

London ist immer einen Abstecher wert – mit besten Grüßen von Jack the Ripper. Doch metaphorisch gesehen hat London nicht wirklich viel zu bieten. Es ist einfach nur eine Großstadt wie es viele andere auch gibt, wenn man sie mit einem nüchternen Blick, fernab von Konsum-Geilheit, Entertainment-Gier und Monarchen-Gehabe sieht. Es ist eine Stadt mit Einwohnern, die ihre eigenen Probleme haben. Ein Problem ist die Miete: Verdoppelung im Zehn-Jahres-Intervall. Und da nörgeln wir, dass es uns so scheiße geht?

Ausschiffung, ab nach Londinium

Ein lange, langer Tag. Wie immer früh, sehr früh wach. Und wie üblich ist der Tag mit der Reisegruppe straff, straffer, am straffsten durchorganisiert. Alte Leute, mittelalte Leute, ganz wenig junges Gemüse und wieder alte Leute. Ach, wie sehr ich solche Gruppen liebe. Da der Tag dermaßen durchorganisiert und verplant war, hatte meine Wenigkeit keine Zeit, um zeitnah ein paar Notizen zu notieren, so dass ich dann doch die mir verbliebenen grauen Zellen bemühen muss, um die paar Erinnerungsfetzen in Buchstaben und Wörter zu transformieren. Und so beginnt es, das Leben im Reisebus, für drei harte Tage. War auf See noch Ruhe und Muße, war das sitzen in dem Moloch auf vier Rädern harte körperliche Arbeit. Zumindest brauche ich nun, nachdem ich wieder zu Hause bin, Urlaub vom Urlaub – und erwischt hat mcih die Arbeit. Verdammt.

Ein Tag im Bus, mein Leben auf Tour.

Endlich kann das Leben der Stars und Sternchen auf Reisen nachvollzogen werden, auch wenn diese nicht zusammengepfercht wie Ölsardinen ihre Wege absolvieren. Nein, der Adlige, Monarch oder von mir aus auch Majestät Sonstwer hat die eigene Kutsche auf dem jährlichen Weg ins Parlament. Im wörtliche Sinne. Die Ewig-Regentin der britischen Nation lässt sich auf dem Weg von ihren Untertanen huldigen, um einmal im Jahr bei ihren Angestellten im Parlament vorbeizusehen, ob es ihnen gut geht. Halt, nein, wir wollen ja nicht die Tatsachen verdrehen. Natürlich, um das parlamentarische Jahr einzuläuten. Und ganz stolz erzählt die Expertin für London, die extra eingesammelte oder aufgelesene Reiseleiterin, durch welche goldene Tor die alte Dame dafür latscht. Toll, gut zu wissen. Und was fange ich nun damit an?

Die spinnen doch, die Briten

Von wegen nur die Deutschen sind penibel. Die, wie ein Filmzitat besagt, steifärschigen Briten gibt es ebenso. Unfähig, auch nur ein wenig Gelassenheit zu zeigen, von amtlicher Seite. Das Fußvolk dagegen nimmt das Leben sehr viel gelassener. Vor allem die zahlreich auftretende Untergattung der Radfahrer und Fußgänger übt sich in halsbrecherischer Manier der Überquerung von Straßen, Millimeter am Bus vorbei. Ein Busfahrer braucht in England Nerven wie Drahtseile. Vor allem und gerade weil die Stadt nicht großartig für viel Verkehr auslegt ist. Doch eines können die Briten immer noch nicht: kochen. Gewürze kennen sie kaum. Die Geschmacksnerven müssen für den allabendlichen Pub-Besuch geschont werden, wo dann alle möglichen Wasser des Lebens konsumiert werden wollen. Das ist die wörtliche Übersetzung für Whisky übrigens. Das musste jetzt einmal belehrend erklärt werden, neunmalklugerweise dozierend.

Essen in England, dass entspricht der tatsächlichen Auffassung, wozu eine Ernährung sein sollte. Genuß? Wozu?  Rein in den Kropf, schlucken und Fresse halten. Die in Deutschland gepflegte Kür, Touristen irgendwelchen Fraß als hochwertiges Menü zu verschachern, das können die Briten ebenso gut, wenn nicht gar besser. Hauptsache, man hat einmal in einem Londoner Pub gesessen. Ganz toll, große Sache.

Nationalstolz und Shoppingwahn

Ein Paradiesvogel! Ein Alptraum in knallbunten Farben. Was habe ich nur verbrochen, dass meine Augen dermaßen malträtiert werden mit dieser Person? Eine Stadtführung mit dieser Frau kann nur der blanke Horror werden und wurde es dann auch. Da wäre, wenn auch wahrscheinlich für mich langweilig, die Gruseltour wahrlich interessanter gewesen. Aber ich bin nun mal gekettet an diese Reisegesellschaft und muss mich als Minderheit beugen. Ja, das Leben als Minderheit. Es ist nicht leicht, wie immer.

Immerhin bin ich jetzt mit unschätzbar wertvollem Wissen ausgestattet: ich weiß, in welchem Schuhgeschäft seine durchfälltigste Erhabenheit, Prinz Segelohr Charles, der Niemals-König, seine Quadratlatschen in wertvolles Leder packen lässt. Und dass dieses Geschäft für ganze zehn Jahre sich königlicher Hoflieferant schimpfen darf. Na damit kann man doch arbeiten, das ist wichtig zu wissen. Genauso wichtig, welche königlichen Gemäuer welches Mitglied der königlichen Familie wann wo und wie bewohnt.

Das englische Altersheim für irgendwelche Leute

Das englische Altersheim für irgendwelche Leute

Und natürlich ganz wichtig auf der Touristen-Route: das englische Groß-Altersheim, dieser Bau für eine ältere Dame, damit diese ihren Lebensabend gepflegt verleben darf. Nennt man Palast. Aber hey, wer einmal Sanssouci oder gar Schloss Schönbrunn gesehen hat, den lässt diese Residenz kalt. Es bleibt in den Augen nur noch das, was es gegenwärtig ist: das Altersheim für eine einzelne Person. Mit 78 Bädern. 240 Schlafgemächern. Ja, so ein Jahr ist lang und die Auswahl nicht sehr groß, wenn man Abwechslung haben möchte. Aber dafür gibt es ja auch noch Windsor Castle, was durchaus etwas imposanter erscheint. Für die Arbeitszeit reicht der Buckingham-Palast durchaus aus und für die zur Zeit anwesenden Staatsgäste ebenfalls. Wer möchte diese schon in der tatsächlichen Familienresidenz nächtigen lassen?

Wir wissen nun also, dass die Rentnerin, die die Engländer als Königin anbeten, die Qual der Wahl hat zwischen 78 Bädern, um ihre unverdaulichen Abfälle des menschlichen Verdauungssystems zu entsorgen. Aber mal ehrlich, reicht da nicht auch eines? Ein Heimscheisser hätte da seine liebe Not.

3300 Kilometer

Großstadtfeeling und Flair - in London. Ach wie schön sind doch die Betonbauten, die man abseits des Tourismus sieht

Großstadtfeeling und Flair – in London. Ach wie schön sind doch die Betonbauten, die man abseits des Tourismus sieht

Das ist die ungefähre Entfernung, die der Bus zurückgelegt hat. Plus minus, aber wohl eher Plus. Ich kann davon ausgehen, dass die Hälfte davon sich mein Hintern in das Sitzpolster eingepresst hat, um ihm seine endgültige Form zu geben. Der Rest waren Fahrten, von denen ich verschont wurde und die Leerfahrt von Hamburg über Calais-Dover nach South-Hampton. Unzählige Staus und Baustellen auf der Strecke – ich kenne sie nun alle. Jedes Schlagloch – was soll man schon in einem Bus treiben? Gut, es waren ganze vier Bücher, die nun durchgelesen in die Dokumentenablage im PC gewandert sind. Wenn ich eine Großstadt sehen will, gehe ich vor die Tür. Wenn ich einen König sehen will, dann schaue ich in den Spiegel. Wenn ich ein Schloss sehen will, gehe ich nach Hause. Die Übertreibung bleibt besser, wo sie hingehört: in meiner Phantasie. Und lange Fahrten auf der Autobahn – es wird immer das Grauen bleiben, der blanke Horror. Das wirklich einzige interessante an dieser Reise waren die 40 Stunden Schiff. Und der Rauchersalon darauf. Die Pfeife mit einer Portion Guiness – wohl bekomm’s,.

 
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