Mythos: Tod

Vor keiner Sache auf der Welt haben wir Menschen mehr Angst: Tod. Schon immer und seit ehedem war es der Tod, der die Menschen faszinierte und abstieß. Kein Thema war mehr für Spekulationen berüchtigt, keine Thema hat mehr Einfluss auf alle Religionen und vor keinem Thema gibt es mehr Ehrfurcht und Respekt.

Dabei gehört der Tod genauso zum Leben wie die Geburt. Alles, was einmal beginnt, muss auch einmal enden. Alles?

Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher. (Einstein)

Der Tod ist das Ende des Lebens. Das ist so nicht ganz richtig. Der Tod ist das Ende eines Lebens – und schafft Platz für den Beginn eines neuen Lebens. Dein Nachbar ist gestorben? Freue dich, die schönere Wohnung ist nun frei. Galgenhumor. Der Tod ist keine Gestalt, obwohl er in vielen Sagen, Fabeln, Geschichten und Märchen durchaus eine annehmen musste. Der Tod kommt und geht nicht – er bleibt aber auch nicht. Ganz anders als in den Mythen der Menschheit.

Aus Angst kommt Unverständnis und damit der Aberglaube. Kommt daher der Mythos der Wiedergeburt, der Seelenwanderung, der Mythos von der Totenwelt, der Unterwelt – dem Jenseits? Es ist nicht die Angst vor dem Tod, die uns beschäftigt. Es ist die Angst vor, dem, was zum Tode führt, Schmerzen und Qualen. Und die Angst davor, was danach sein wird. Es ist die Angst vor dem Unbekanntem, vor dem unentdeckten Land. Es ist die Angst davor, von der Geschichte vergessen zu werden und nicht genug Fußspuren hinterlassen zu haben im Sand der Zeiten.

Ein Denker und Autor der jüngeren Geschichte hat es geschafft, mit seiner Ansicht vom Tod auf eine gewisse Weise vorübergehend unsterblich zu werden:

»Denn ich liebe es nicht, dass man mogelt. Der wahre Mut besteht immer noch darin, die Augen weder vor dem Licht noch vor dem Tod zu verschließen.« (Albert Camus, LS, 74)

Camus lehnte die religiösen Tröstungen ab, denn diese würden mithilfe einer grandiosen Lebenslüge das Sterben erleichtern. Der Denker glaubte vielmehr an die heidnischen Götter Pan und Dionysos, an das „klopfende Herz“ des Werdens, welches er als den Inbegriff alles Lebendigen betrachtete. Pan war in der griechischen Mythologie der Hirtengott,  Dionysos der Gott des Weines, der Freude, der Fruchtbarkeit, des Wahnsinns und der Ekstase. Also alles Inbegriffe des Lebens.

Galgenhumor: „Viel zu früh verstarb er.“ „Ja, wann wäre es denn Ihnen Recht gewesen?“

Frühzeit

Auch in der Frühzeit gab es schon Götter, die das Leben und Sterben der Menschen beeinflussten. Oft zeigten sich Mythen, in der eine Gottheit stirbt, aber in periodischen Abständen wieder auf die Erde kommt. Symbolisiert wurde damit der Kreislauf des Lebens: Geburt, Wachsen und Tod.

Ägyptische Mythologie

Starb ein Mensch, so kam sein Ka (vergleichbar mit der Seele) in das Totenreich, in die Unterwelt. Im Totenreich selbst kam das Ka dann zum Totengericht, bei dem das Herz gegen die Feder der Maat gewogen wurde. Wog das Herz des Toten schwerer als die Feder der Maat, wurde es von der Verschlingerin gefressen und der Tote starb ein zweites Mal, diesmal endgültig. Kein Weiterleben nach dem Tode, nur das pure Nichts, das auslöschen der gesamten Existenz inklusive der Erinnerung an die Person – die schlimmste Strafe für einen gläubigen Ägypter. Bestand der Tote dagegen das Totengericht, durfte er im Kreis der Götter weiterleben.

Griechische Mythologie

In der griechischen Mythologie gab es zwei Götter, Zwillingsbrüder: Hypnos, der Schlaf und Thanatos, der Tod. Beide waren Söhne der Mutter Nacht. Richtig ist, dass wir weder im Schlaf noch im Tod etwas bewusst steuern können, das hatten die alten Griechen und Philosophen schon erkannt. Nach dem Tod folgte das weitere Leben der Seele im Schattenreich, im Land der Toten, dem Hades. Heraklit sprach der Seele (Thymós) als einer der ersten ein ewiges Leben zu, die zu Lebzeiten im Körper eines Menschen gefangen war. Dem gegenüber stand der Totengeist (Psyché), welcher dann den Körper im Tode verließ.

Christliche Mythologie

die Christen brachten durch die Figur des Jesus und seiner Auferstehung ebenfalls das Weiterleben einer Seele mit ins Spiel, diesmal jedoch mit zwei Möglichkeiten: Himmel und Hölle. Damit war auch das befolgen der religiösen Doktrin wichtig für das Seelenheil nach dem Tode geworden – wer will schon auf ewig Qualen erleiden.

Gegenwart

Heute ist der Tod weitestgehend tabuisiert. Das Sterben ist wie auch das Leben weitestgehend reglementiert. Nur langsam lösen sich die Knoten der Gesetze und eine eigene Form des Nachlebens wird wieder nach und nach möglich. Weiterhin bestimmend ist in Deutschland der Friedhofszwang, ausgenommen die Seebestattung und verboten weiterhin die aktive Sterbehilfe. Das Thema Tod an sich wird verschwiegen, die religiösen Doktrinen sind hinfällig. Der Tod wird kommerziell. Begraben darf nur der Bestatter, gegen ein gewisses Entgelt natürlich. Der Freitod wird noch immer geächtet.

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Weit verbreitet in vielen Religionen war damit der Glaube, dass die Götter über die Taten der Toten zu deren Lebenszeit zu Gericht saßen und Verfehlungen entsprechend ahndeten. So konnte sich eine Art von Gerechtigkeitssinn entfalten, um den Menschen Verbrechen madig zu machen mit Qualen nicht nur zu Lebzeiten, die insoweit erträglich gewesen wären, als dass sie mit dem Tod enden würden. Die Qualen sollten über den Tod hinaus andauern und damit Verbrechen im Leben so weit wie möglich verhindern. Ob es nun funktionierte, sei dahingestellt. Zumindest eines ist sicher: der Tod wurde damit zum Schreckgespenst, zum Racheinstrument.

death-159120_640Von den religiösen Doktrinen einmal abgesehen, was bleibt dann noch vom Tod übrig? Einfach nur das Ende eines Lebens, der puren Existenz? Was ist, wenn keine Seele für die Taten im Leben haftbar gemacht wird? Würde die Menschheit ins Chaos verfallen, Mord und Totschlag herrschen? Aber das tun sie doch schon! Die Menschen haben in der Hinsicht nicht den Tod gefürchtet, sofern er stets nur anderen gebracht wurde. Das Prinzip mit der Gerechtigkeit funktioniert nicht. Wenn wir nach dem ägyptischen Glauben gehen, dann sind die Götter noch sehr, sehr einsam und haben viel Platz anzubieten.

Und doch gibt es sie, die furcht vor dem eigenen Tod. Die Furcht vor dem Ungewissen, vor dem, was nicht erklärbar ist. Doch wenn das Wissen um das Ende der Existenz nach dem Tod sicher ist, wird es dann leichter?

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Der Autor hat Todessehnsucht, wenn er sich soviel mit dem Thema beschäftigt? Gewiss nicht, wenn seine Zeit gekommen ist, dann ist sie da. Punkt – aus – Ende. Es ist der Bruch mit einem Tabu-Thema, der Bruch mit dem Aberglauben und die Beschäftigung mit der Realität dessen, was uns gewiss ist.

 
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