Frühlingsbeginn

Für das lichtscheue Gesindel beginnt wieder eine katastrophale Zeit. Die Tage werden länger, die Sonne erobert sich ihre Herrschaft zurück, das Grün beginnt die graue Welt wieder in das bunte, farbenfrohe Gewand zu hüllen, das der Frühling so mit sich bringt.

eine lange, kurze, Kurzgeschichte

Roald drehte sich missmutig um. Hatte das verdammte Katzenvieh schon wieder durch seine ewigen Spaziergänge zum Fenster die Gardinen verschoben und ein Sonnenstrahl viel genau auf die Couch. Genau auf das Kopfteil, auf dass er seinen Kopf gebettet hatte, um ruhend das Wochenende zu verbringen. Tageslicht, und das schon so früh am Morgen. Unerträglich. Vor dem ersten Kaffee schon mit der Sonne kämpfen zu müssen war für einen Nachtmenschen wie Roald einfach unerträglich. Dieses Tier erinnerte ihn mehr an sein eigenes Menschsein als die Gestalten, mit denen er täglich zu tun hatte. Doch das umdrehen hatte nicht geholfen, der Sonnenstrahl verfolgte ihn auch weiter hartnäckig. Zu allem Überfluss hatte auch das Tier bemerkt, dass der angestellte Dosenöffner dem Stadium des Tiefschlafes entwichen ist und sich nun in den Sphären des morgendlichen Dämmerzustandes befand. Ein Umstand, der ausgenutzt werden musste, aus tierischer Sicht. Die übliche Futterzeit wurde wie jedes Wochenende weit überschritten, das durfte nicht geduldet werden.

Immer noch brummelnd, das Tier und das Tageslicht verfluchend, erhob sich Roald, sammelte seine Knochen ein und brachte alles zusammen in torkelnder Weise zum Fenster, um den hellen Störenfried wieder hinter den Stoff zu verbannen. Doch was geschehen, das war geschehen – Roald war wach. Ein zweimaliges Klatschen brachte dann auch die Anlage in Schwung, die fröhlich plärrend den erstbesten Radiosender abspielte. Fröhlich. Roald war jetzt schon genervt von dem Tag. Tageslicht, das ebenso unerträgliche Gebrüll der Vögel vor dem Fenster, das fröhliche Geduddel des Radios und die penetrant nervende Katze, die ihr Recht auf einen gefüllten Magen geltend machte. Dabei hatte er sich vorgenommen, den Tag schlafend zu verbringen. Doch es war ihm einfach nicht vergönnt, die Welt, die ganze Natur, ja das ganze Universum hatte etwas dagegen.

Zu allem Überfluss fing eine Stimme im Radio, nach dem letzten Song, der verhallte, an zu schwadronieren, was für ein schöner  Frühlingsmorgen es heute nun sei, genau passend für den Frühlingsanfang. Das war zuviel des Erträglichen. Ein kurzer Griff zur Fernbedienung und kurze Zeit später gab es keinen Frühling mehr im Radio, die angenehmen und düsteren Klänge des Dark-Rock-Senders verhallten dafür leise in der riesigen Wohnung. Die erste Gefahr der Fröhlichkeit war gebannt. In der Zeit, in der der Kaffeevollautomat dann auch die Bohnen bearbeitete, um durch diese in gemahlenem Zustand heißes, fast kochenden Wasser zu pressen, um die Lebensgeister des Besitzers zu wecken, war dann auch der Wunsch eines gefüllten Schälchens für das laufende Fell auf vier Beinen erfüllt. Zwei der drei üblichen morgendlichen Rituale waren damit abgearbeitet, der Tag konnte mit 66 prozentiger Sicherheit beginnen.

frühlingsbeginnDen dampfenden Kaffee in der Hand begab sich Roald in den Garten, natürlich seine lichtempfindlichen Augen durch die Gläser einer Sonnenbrille von der Helligkeit des Morgens abgeschirmt. Gegen das lästige Gebrüll der Vögel konnte er nichts unternehmen, wohl aber gegen den damit aufsteigenden Unmut. Schon vor einigen Jahren hatte er sich eine Methode erarbeitet, um zu jedem Frühlingsanfang jedwede Fröhlichkeit in seiner näheren Umgebung zu unterbinden. Die aufblühenden Krokusse starben einen schnellen Tod unter seinen Schuhsohlen. Nicht einmal mit Absicht war ihr kurzes Leben auf diese rüde Art und jäh beendet worden. Roald liebte die Natur, aber genauso liebte er die Dunkelheit und Abgeschiedenheit seines Hauses. Der einzige Fleck, der in seinem Garten die Bezeichnung als solcher verdient hatte, war der kleine Streifen Rasen, der zu der Terrasse führte. Und dieser Streifen wurde von Roald freiwillig kurz gehalten, während der Rest einfach wild wuchern durfte. Roald liebte das wild wuchernde Grün. Es war sein kleines, gefühltes Stück Freiheit in der sonst so stark reglementierten Welt.

Sein nicht vorhandener Weg führte ihn zu eben jener besagten Terasse mit dem als klein zu bezeichnen schon stark untertriebenem Gartenhäuschen. ‚Es war eher eine Art kleiner Villa, die am Rand seines Grundstücks stand. Früher als Gästehaus für jene Besucher gedacht, die im Haupthaus nicht schlafen sollten, hatte es nun für Roald eine andere Funktion. Gäste beherbergte es allerdings noch…

Roald stellte seinen Kaffeebecher, der mittlerweile leer war, auf einem kleinen Bistrotisch auf der Terrasse ab und schloss die drei Schlösser des Gartenhäuschens auf. Die Tür knarrte leise, als sie von ihm aufgestoßen wurde. ‚Wie in einem schlechten Horrorfilm‚ dachte sich Roald, leicht grinsend. Die Fenster des Häuschens waren verhangen, so dass das wenige Licht durch den Türspalt schien und einen hellen Streifen, von seinem Schatten ausgefüllt, auf den Fußboden zauberte, der Rest an Winkeln und Wänden lag weiterhin im dunklen Dämmerlicht und war nicht zu erkennen, höchstens zu erahnen. Roald ging zu einer Truhe in der nächste ecke neben der Tür und nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in seine Hemdtasche. Die Truhe enthielt nur die Zutaten für sein drittes morgendliches Ritual, von dem kein Mensch allerdings etwas ahnte. Er nahm den Kreidestein in die Hand, den er von seinem Ausflug an die Steilküste von Rügen mitgebracht hatte und begann, auf dem nackten Steinfußboden ein riesiges Pentagramm zu zeichnen.

Freihändig und mit durchgehenden Strichen, die auf lange Übung schließen ließen, vollendete er in kurzer Zeit sein Werk und betrachtete es eingehend, um sichergehen zu können, dass kein Fehler dabei sich eingeschlichen hätte. Er war Perfektionist in einer unperfekten Welt. Zufrieden nickte er sich selbst zu, das Pentagramm war wieder einmal perfekt geworden. Der göttliche Schnitt vereint mit den fünf Elementen der Welt. Mathematik und Natur, der Kreislauf des Lebens. Man konnte soviel darin sehen. Einfach perfekt und von den Menschen nur missverstanden. Lange Zeit stand Roald nur da und betrachtete sein Kunstwerk, wie an jedem verfluchten Frühlingsanfang.

Aus der linken, hinteren Ecke war schon seit einiger Zeit ein leises Wimmern zu vernehmen, ganz schwach. Ganz in sein Kunstwerk versunken hatte Roald es zuerst gar nicht vernommen, doch nun verlangte es nach seiner Aufmerksamkeit. Mit einem gekonnten leichten Kick warf er mit seinem Fuß die Tür ins Schloss und machte sich wieder an der Truhe zu schaffen, entnahm ihr fünf schwarze Kerzen, die er an jedem Ende des Pentagramms aufstellte und anzündete. Leicht flackernd erhellte sich der Raum ein wenig, der keinerlei Möbelstücke beinhaltete. Seine Gestalt, in der Mitte des Pentagramms stehend, warf tanzende Schatten an die Wände. Andächtig schritt er in die Ecke, aus der das Wimmern gekommen war und leise klickten Handschellen. In dem stillen Raum hörte es sich fast wie ein Scheppern an. Roald schleifte etwas Großes in die Mitte des Pentagramms, das nun langsam als ein Mensch zu erkennen war. Ein zitterndes Häuflein Elend mit wirren Haaren, ängstlich blickenden und aufgerissenen Augen lag nun in der Mitte des Pentagramms und wand sich, doch die Fesseln hielten.

Und mit einem gezackten Dolch in der Hand begann Roald Konfuzius zu zitieren:

„Alle weltlichen Dinge sind nur ein Traum im Frühling. Betrachte den Tod als Heimkehr.“

 
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