Der fabrizierte Alltag

Herzlich willkommen, treten sie näher und in das Reich eines Mannes. Nennen wir ihn der Einfachheit halber einfach mal Otto Einfach. Und betrachten wir seinen Alltag einmal genauer und zwar unter den Gesichtspunkten der Umgebung, der chemisch fabrizierten Umgebung, die ihn unmittelbar betrifft. Mittelbar würde es einfach nur zu weit gehen…

Es beginnt schon vor dem Aufstehen. Otto Einfach lümmelt sich in seinem Bett in einer schönen, bunten Bettwäsche aus synthetischer Faser. Baumwolle ist ihm einfach zu warm. Nein, die synthetische Faser aus formstabilem Polyester ist für Otto nicht nur angenehmer, sondern auch einfacher zu handhaben, in der Reinigung. Und weil es so schön duftet, würde die Bettwäsche natürlich gewaschen mit einem Weichspüler mit Bergluft-aroma. Herrlich. Der Körper nimmt schon hier die ganze kurze Nacht lang die ersten chemischen Verbundstoffe auf, durch Nase und Haut. Und freut sich tierisch über die Gifte, schließlich muss die Leber trainiert werden, auch außerhalb der Sauforgien.

RIIING-RIIING… Der Wecker klingelt. Natürlich voll elektronisch. Otto Einfach ist einfach nicht amüsiert. Grummelig weil morgenmuffelig erhebt er seinen müden Körper, sammelt die Knochen und bringt diese dabei streckend und laut krachend wieder in die passende Position. Wie es sich für einen ordentlichen Kerl in seinem Format gehört, ist der erste Gang der in die Porzellanabteilung. Boah, fällig.. Wo ist das Papier? Achja, da. Für einen umweltbewussten Menschen wie Otto Einfach ist es natürlich das weiche, vierlagige mit Aufdruck des Lieblingsvereins. Hergestellt aus natürlicher Holzfaser, mit chemischem Leim zusammengehalten und mit überaus giftiger Farbe versehen. Das interessiert Otto aber nicht. Für ihn ist nur eines sicher: Der Morgenschiss ist dir gewiss.

Die Seife aus weiteren chemisch einwandfreien Ingredienzien zur Desinfektion beseitigt eventuell letzte Bakterien an den Händen, der Duftsprüher die unangenehmen Gerüche. Aerosole, juchhe..

Weiter geht es im morgendlichen Wahnsinn. Der letzte Teil des dreiteiligen Männerfrühstücks mit der Kurzbezeichnung KKK (Kaffee, Kippe, Klo) ist bereits abgefrühstückt, es muss ja nicht zwingend die Reihenfolge eingehalten werden. Der Kaffee aus fairtrade – Anbau mag ja noch vertretbar sein, die Pestizide, die dabei Verwendung finden, nicht ganz so sehr und der Dünger (Monsanto lässt grüßen) erst recht nicht mehr. Die Kippe, das Kunstwerk eines gewissen Joseph Huppmann, aus des Zaren Reich importiert, hat außer der Hauptzutat Tabak auch nicht mehr viel mit Biologie, dafür mehr mit Chemie zu tun.

Die nachfolgende Dusche mit Shampoo (sofern noch nötig), Spülung, Conditioner, Duschgel, Hautcreme und Co. ist auch viel mehr aus dem Labor denn von Mutter Natur. Na klar, der Mann von Welt braucht nichts mehr von Muttern. Mann ist ja kein Weichei, keine Tunte. Obwohl… Bei der Vielzahl der Kosmetika eines heute typischen männlichen Badregals… Mann geht nicht mehr ohne Maniküre und ausschließlich mit perfekt sitzenden Haarspitzen aus dem Haus. Da können sich gelegentlich gar manche Mitglieder des anderen Geschlechts ohne Glied eine Scheibe abschneiden. Wir schweifen ab.

Otto ist perfekt gestylt, Müsli mit Sojamilch aus gentechnisch einwandfreiem Anbau und Obst mit und ohne Pestizide sind verzehrt. Fahrt frei, mehr oder weniger, für die morgendliche Stunde Aufregung im städtischen Verkehr mit der Ansammlung von Bauteilen, die allesamt von den Göttern der Technik und Labore stammen. Gib mir Benzin mit viel Octan und frei von Blei – so dröhnt es aus den Lautsprechern. Und doch kriecht Otto langsamer als der grüne Hippie durch die städtische Beton-Botanik auf seiner mit einer MS angetriebenen Maschine. Auch nicht ganz ohne Chemie, dafür mit grünem Gewissen bei der Verwendung….

Einige Jahrhunderte früher:

Ein Urururururahn von Otto wacht, von den Sonnenstrahlen in der Nase gekitzelt und dem morgendlichen Gebrüll des Federviehs geweckt, auf seinem Lager aus Stroh und Fellen auf, streckt sich kurz, spült die Fresse mit etwas Wasser vom Vortag aus und stakst in den Stall, um den Gaul und sich auf den Arbeitstag vorzubereiten. Mit Glück ist noch ein Fluß in der Nähe, um nach dem Morgengebet auch die tägliche und erneute Taufe vorzunehmen. Otto Urahn knabbert nebenbei ein paar Fetzen Dörrfleisch, spannt den Gaul vor den Pflug und macht sich nicht vom, dafür auf – zum Acker. Zum ackern – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Chemie kannte er nicht. So ein Schelm. Unwissender Schelm. Dafür waren die Alchemisten da, die aber auch nichts richtig gebacken bekamen. Zumindest haben sie die eine oder auch andere Sache gefunden und als unwichtig wieder vergessen.

 
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