Der erste Satz entscheidet. Peng, schon verloren. Dieses blöde Handbuch für Autoren. Ich hätte da gar nicht hineinsehen brauchen. Mit dem ersten Satz schon verkackt. Dabei wird in dem Handbuch schwadroniert, dass der Leser einer Geschichte schon nach dem ersten Satz unbewusst entscheidet, ob sie ihm gefällt. Liebe auf den ersten Blick sozusagen. Gut, die Menschen waren schon immer und werden es sein: oberflächlich. Der tiefere Sinn steckt zwar drin, doch niemand macht sich die Mühe, danach zu suchen. Es wird Zeit, den Menschen zu zeigen, dass es mehr gibt als nur die Schale. Doch um dem Handbuch Tribut zu zollen, fange ich erneut an.
Ich bin ich. Immer wieder wiederhole ich diese Erkenntnis nach dem Blick in das gespiegelte Glas. Ein Spiegel lügt niemals. Doch ein Spiegel zeigt auch nur ein offensichtliches, oberflächliches Abbild. Der Mensch dahinter mit all seinen Empfindungen und Gedanken, der ist nicht zu sehen. Und das ist auch gut so. Hinter der Scheibe im Spiegelbild sehe ich mich und meinen bösen Freund Roald. Roald steht neben mir, wo sonst ich stehe. Roald kennt ihr aus einer Geschichte, halt, nein, sogar aus mehreren. Wie viel von mir steckt in dieser fiktiven Person, die mich da noch in dem Spiegel anschaut, mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen? Viel zu viel. Wir verarbeiten viel zu viel von uns selbst in den Texten, viel zu viel, von dem wir glauben, dass wir es wissen. Wissen tun wir doch gar nichts. Wir schauen oberflächlich auf einen Gegenstand, auf eine Gegebenheit und glauben zu wissen. DAS ist der große Unterschied. Roald weiß mehr von mir als ich es zugeben wollen würde. Er hat mehr von mir, als ich es zugeben würde. Warum auch, der Typ ist ein eiskalter Killer, berechnend und mit einem gewissen Hang zur dunklen Seite der Macht. Spiegelbild-Roald grinst mich wissend an und ich wende mich ab. Mein Spiegel zeigt wieder nur Illusionen, die mir mein Verstand vor den ersten zwei Kaffee vorgibt.
Und so wie ich mich vom Spiegel abwende, entsorge ich auch gleich den Ratgeber für Autoren. Und den nächsten gleich mit. Ratgeber können helfen, müssen sie aber nicht. Nicht jeder Rat ist universell einsetzbar, nicht jeder Rat passt auf jeden Menschen. Wenn das so wäre, wären wir alle gleich und das wäre das absolute Grauen. Sieben Milliarden Menschen auf der Erde und alle sehen so aus wie, reden wie ich, denken wie ich und agieren wie ich – rette sich wer kann. Her mit der Sintflut, am besten gleich ein paar Tage länger und statt Wasser bitte gleich Salzsäure. Damit auch wirklich nichts übrig bleibt.
Nun sitze ich am Schreibtisch, vor mir der obligatorische Kaffee, der überquellende Aschenbecher und die Tastatur blockiert von einer Katze. Mach nur ruhig, du Tier. Ich habe noch mehr Schreibmöglichkeiten als dieses triviale technische Dingsda. Die Katze guckt mich an und ich sehe in ihr – Königin Bastet Merrit. So königlich, herrschaftlich. Bastet Merrit ist auch nur eine Figur in einem Roman, diesmal nicht von mir, aber dafür genauso gut. Die Königin der Katzen, nur ihr Signum fehlt. Ich sollte ihr mal versuchen, mein Ankh umzuhängen. Doch von diesem Gedanken, versucht in die Tat umzusetzen, ist Madame absolut not amused. Ihr irgend etwas um den Hals zu hängen, also bitte. Sie ist doch kein verdammter Köter.
So, nun fehlt nur noch der Abschluss. Im Anfang war das Wort, der erste Satz, in der Mitte das Geschwafel und am Ende? Da ist Nichts. Es gibt kein Ende. Der Tag hat gerade erst begonnen und außerdem folgt auf diesem noch einer. Zumindest solange sich dieser Felsklumpen weiter dreht. Und wir uns mit ihm. Also drehen wir weiter und basteln uns eine Geschichte. Damit auch diese verdreht werden kann. Nein, der Seitenhieb musste jetzt sein, ich konnte nicht anders.
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