Herbstlich gesehen

Vor wenigen Tagen, vor ein paar mehr als gefühlt, hatte sie es geschafft. Die Sonne hatte ihre längste Wirkungsdauer innerhalb eines Tages abgeschlossen und darf sich nun – nach altem Glauben – ein wenig mehr Freizeit gönnen.

Man gönnt es ihr. War sie doch in diesem Jahr überaus vielbeschäftigt, uns zu grillen und zu schmorren. Die Sonne kocht ihr eigenes Süppchen, aus Helium, Wasserstoff und ganz viel Strahlung. Und jeden Tag bekommen wir unsere Kelle davon ab. Jetzt bekommen wir eine ganz andere Kelle. Die aus dem vollen Eimer der wolkigen Art, den ganzen Sommer gut vollgetankt und nun entleert, immer nur ein wenig, dafür aber stetig.

Statt trockener Bäume aufgrund der Hitze nun feuchte Bäume mit buntem Laub, nicht kraftlos, aber dafür farbig. In einem schwarzen Leben kann man den natürlichen Farben wohl mehr abgewinnen – oder liegt es am Alter? Ist es für „normale“ Menschen, dass durch den tagtäglichen Farbeinfluß überstrapazierte Auge die Natur nicht mehr so wahrnimmt, wie sie sich das gedacht hat? Wir leben in einer grauen Welt, aber meinen, sie wäre bunt. Ohne die bunte Welt zu sehen, die uns umgibt. Ist es da nicht schöner, in einer dunklen Welt zu leben und sich an den Farben der Natur zu erfreuen, wenn sie in voller Kraft erstrahlt?

Der Herbst bietet ein solch mannigfaltiges Spektrum, dass alle anderen Jahreszeiten dagegen voll abstinken. Im Sommer stinkt nicht nur des Axel’s Schweiß, im Frühjahr sämtliche Blumen und Blüten in einer Art, dass Insekten von ihnen angezogen werden. Der Winter bietet, zumindest war es einmal so, eine luftige Klarheit. Nur der Herbst hat den Geruch von Reife, Überreife und Verfall. Ein angenehmer Duft, nicht zu stechend, sondern sanft die Nase umspielend. Doch eines will der Herbst ganz sicher sagen, pass auf, der Winter naht. Es ist Herbst, auch für die Menschheit. Doch diese jammert nur über die Kälte.

Kälte heißt in der Natur Erholung. Für die Pflanzen Erholung von den Strapazen des Jahres. Wachsen, blühen und Früchte tragen, vermehren und gegen alle Widrigkeiten kämpfen wie andere Pflanzen, Tiere und auch den Menschen. Gegen Wind und Wetter, zu viel Sonne oder zu wenig Sonne. Zu viel oder zu wenig Regen. Im Winter können sich die Pflanzen erholen, neue Kraft tanken für das sonnige Halbjahr. Nehmen wir uns ein Beispiel an ihnen und sehen den Winter nicht als Martyrium, sondern als Pause. Tief durchatmen – nur nicht in der Stadt. Innehalten. Den Blick einmal nach innen kehren und nach außen schweifen lassen bei einem herbstlichen Spaziergang in der Morgendämmerung.

 
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